Das nervt!
Lübeck 2018 -
Beschreibung der Ziele und Inhalte:
Rahmenbedingungen
Im Allgemeinen ist es schwierig, seine Beschwerden zu äußern. Oft hat man nur ein ungutes Gefühl und verpasst den Moment, den Mund aufzumachen. In Finnland und England entstanden seit 2005 sogenannte „Beschwerdechöre“. Bürger verwandeln aktiv und amüsant Ihren alltäglichen Ärger in Kunst, in Musik. Auch Schüler und Schülerinnen haben diverse Gründe, ärgerlich zu sein. Doch wie lässt sich die Wut äußern, ohne andere zu mobben, Dinge zu zerstören, als „Troll“ in sozialen Netzwerken aufzutauchen oder in Verstummung zu kapitulieren?
Kunst kann auf ganz unterschiedliche Weise Wut sichtbar machen und wahrt dennoch Grenzen. Mit Hilfe von Literatur, Tanz, Musik und Malerei soll eine Collage entstehen, die auf die Bühne kommt. Nur, wer sich äußern kann und gehört wird, kann lernen, dass seine Stimme zählt. Und wessen Stimme gehört wird, der lernt auch, anderen zuzuhören. Mobbing und Gewalt werden sichtbar und können verhindert werden – das ist Erkenntnis und Wunsch der Beteiligten.
Pilotprojekt:
Dieses Projekt soll nicht nur für Lehrer, Eltern und Schüler anderer Klassen in der Schule gespielt werden, sondern darüber hinaus in Zusammenarbeit mit dem Lübecker Schulrat vor Lehrern und Schulleitern aller Lübecker Schulen, deren Elternvertretern und der für den Einzugsbereich wichtigen Stiftungen und Initiativen. Es soll so als Pilotprojekt die Arbeit der Kulturvermittler*innen vorstellen. Ziel ist es, dass vom Ministerium zertifizierte Kulturvermittler*innen zentrale Anlaufstelle für alle Schulen werden, wenn es um die künstlerische Begleitung von Unterrichtsthemen und sozialen Themenkomplexen geht.
Projektphasen
1. Projektphase: Kreatives Schreiben mit HannaH Rau
Nach einer vorbereitenden Einheit über die Form des Beschwerdechors als solches, arbeitet Wortwerkerin HannaH Rau mit den Schülerinnen und Schülern mit Mitteln des freien, kreativen Schreibens. Theaterspiele lockern die Atmosphäre und erleichtern den Einstieg in eine Beschwerdesammlung in Kleingruppen.
In Zweiergruppen entsteht ein Dialog auf dem Papier: „Ich hab keinen Bock auf…“. In zwei weiteren Unterrichtseinheiten schreiben die Schüler frei zu Impulsen wie z.B. „Was ich schon immer einmal sagen/fragen wollte…“ und tauschen sich darüber aus. Gruppen ähnlicher Themenbereiche fügen ihre Texte zusammen und überarbeiten diese mit Unterstützung der Literatin, sodass sie rhythmisch auf Rap-Beats gesprochen werden können. Außerdem entstehen Slam-Texte zu Toleranz und Diskriminierung.
Die Arbeitsweise in Gruppe und Einzelarbeit erleichtert es den Schülerinnen und Schülern, sich zu äußern. Sie erkennen, dass sie nicht allein mit ihrem Ärger sind. Die Gruppe wird darin bestärkt, auch ungewöhnliche, kritisch-polemische und humorvolle Äußerungen zu respektieren.
2. Projektphase: Choreografie und Musik mit Katja Grzam:
Mit einfachen Übungen aus dem Darstellenden Spiel und Basis-Tanzelementen beginnt der Einstieg in die Körperarbeit sehr energetisch, um den Körper intensiv zu spüren. Danach dürfen die Schülerinnen und Schüler ihre Wut mit Hilfe einer an der Wand gelehnten Matratze entladen. Hemmungen werden so abgebaut.
In Kleingruppenarbeit werden nun Gestik, Mimik und Laute zu Emotionen gesucht und mit großen Bewegungen verbunden. Eine eigene gesetzte Choreographie der vorher selbst erarbeiteten Texte wird entwickelt und erlernt. Wut, Verzweiflung, Frust und Aggression werden mit Bewegungsideen verknüpft.
Am Ende gilt es, alle Bewegungsideen mit den schon vorher gesetzten Texten zu verbinden und durch weitere Raumwege, Raumpositionen und Gruppenkonstellationen der Performance ein Gesamtgesicht zu geben.
Musik mit Uli von Welt
Worte sind Musik, Worte sind Rhythmus, Worte sind Klang, Worte haben eine Stimme.
Die Stimme ist Ausdruck unserer Persönlichkeit und Spiegel unserer Emotionen.
Basis des Stimmsitzes ist die Atmung.
Den Schülerinnen und Schülern wird auf bodenständige und humorvolle Weise Grundwissen über die Stimme vermittelt.
Es gibt Tipps, wie man beispielsweise bei Aufregung seine Stimme besser zu kontrollieren lernt.
Mit Stimmübungen und Bodypercussion wird ein „Wutorchester“ gegründet.
Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern werden musische Ausdrucksformen und Interpretationsmöglichkeiten der Worte gefunden.
3. Projektphase: Bühnenbild mit Barbara Engel und Angela Siegmund
Die Workshop-Teilnehmer entwickeln ein inhaltlich passendes und expressives Bühnenbild in der Stilrichtung „Graffiti“ als Gemeinschaftsarbeit. Dazu wählt jeder Schüler ein ausdrucksstarkes Wort aus seinem Beschwerde-Text und setzt dieses als Stylewriting mit einem entsprechenden Bildsymbol um.
Nach einem künstlerischen Konzept wird eine große Leinwand mit extrem bunten Mustern in Anlehnung an Comic und Graffiti-Zeichnungen untermalt. Darauf werden in verschiedenen Größen und Farben die Motive der Schüler in Schablonentechnik übertragen. Es wird von allen Seiten an der Leinwand gearbeitet. Jeder hat das Recht, Partien zu übermalen, zu überarbeiten oder zu verändern, auch wenn sie schon vorher von einem der anderen bemalt wurden. Auf diese Weise verdichtet sich das Gemälde ununterbrochen. Das Vorgehen der Schüler ist eng mit dem verwandt, was in der Musik Improvisation heißt: Ein Spiel von Geben und Nehmen. Die Interaktion der Beteiligten zugunsten der Komposition. Das bedeutet, Reaktion auf das piktural Vorgefundene ebenso auf das, was sie selbst schon gemalt haben, wie auch auf das, was die anderen produziert haben, wie auch auf das, was an ihren eigenen Vorgaben zerstört, verändert und verdichtet wurde. Die Teilnehmer lernen so, Gefühle visuell auszudrücken, Ideen und Vorstellungen in Form und Farbe umzusetzen und erfahren, wie mühsam es ist, gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
4. Projektphase: Zusammenführung und Präsentation mit allen Künstlerinnen
Die einzelnen Kunstformen, die in den letzten Tagen getrennt voneinander entstanden, werden in zwei Tagen zu einem Ganzen zusammengesetzt, geprobt und in schließlich in einer Werkschau Eltern, Lehrern und anderen Schülern gezeigt.
Wenige Tage später wird das Werk als Pilotprojekt auf die große Bühne des Kolosseums gebracht. Die Schülerinnen und Schüler proben noch einmal und performen dann vor allen Schulleitern und vielen Lehrern Lübecker Schulen, Mitgliedern der Elternbeiräte und Stiftungen aus dem Einzugsgebiet.
Das Projekt wurde dankenswerterweise von der Mercator-Stiftung, der Possehl-Stiftung und dem Schulverein der Willy-Brand-Schule gefördert.